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Khalid Boudou: Lehrjahre im Schnitzelparadies
ISBN 3-89667-204-5, Karl Blessing Verlag, München

»Ist das alles? Ist das schon alles?« Lautstärke und Klang meiner Stimme erinnern wohl an ein Transistorradio, dessen Batterien fast leer sind. Wachsam beobachten meine Augen das Messer, das sich dank Amimuns unkontrollierter Energie immer mehr in Richtung meiner Brust vorzittert.
   Seine Ohren wackeln, glühend rot vor Wut. »Was soll denn sonst noch sein, Spülwurm? Was ist mit euch Jungs los? Euch haben sie wohl schon völlig auf ihre Seite gezogen, mit diesen komischen, faden Weißbrot- und Weihnachtsmannmärchen. Aber mich kriegen sie nicht!« Er schlägt sich kräftig gegen die Brust. Eine harte Faust küsst das Schneidbrett. Vorderzähne graben sich in die Unterlippe. »Ich bin und bleibe ein maro, Nordip, außer ich gewinne zwanzig Millionen Mäuse im Lotto. Typen wie ihr macht uns nur lächerlich. Ihr mit eurem Gelehrtengequatsche. Und was hat dir das gebracht? Du schrubbst hier Pfannen und Töpfe. Aber sieh dir mal die Chinesen oder die Türken an - über die spricht oder schreibt niemand, keine Zeitung, kein einziger Fernsehsender, niemand weiß, was die machen. Denen ihr Leben ist denen ihr Leben. Sie verkaufen sich nicht selbst, verstehsdu. Sie haben alle ihre eigenen Läden, arbeiten füreinander, unterstützen sich gegenseitig, bewahren ihren Stolz und that's it.« Er schluckt. Der Apfel in seiner Kehle hüpft auf und nieder. »Zwischen die kriegt keiner auch nur einen Fingerbreit. Hast du schon mal irgendjemand über die meckern hören? Oder hast du ... Spülwurm, dummer kahler Pickelhering... hast du vielleicht schon mal einen Chinesen mehr Niederländisch reden hören als >Sambal dazu<? Und alle rufen: >Prima, ja, machen Sie es ruhig scharf... ja, prima, lecker... leckres chinesisches Essen ... < Die sind stolz. Die sagen nur das, was nötig ist. Aber ihr... ihr Kahlköppe, ihr müsst ja mal wieder ein Riesentheater um uns machen, euch selbst verleugnen, eure Seele an Schitan verkaufen, Couscous für sie aufwärmen und sogar die Teller noch ablecken, euch anpassen und auch so ... auch so ein Weißbrot-Aromie werden wollen. Ich schwör dir, noch keine zwanzig Jahre und ihr sitzt allesamt mit 'nem String am Hintern mit euren Kindern rund um ein geräuchertes grinsendes ekliges Dreckschwein und singt fröhlich Weihnachtslieder wie: Morgen, Kinder, wird's was geben ... «
   »Das ist ein Nikolauslied, Amimun.«
   »Fuck you!« Amimun lässt das Messer fallen. Seine Hände greifen in die Luft, auf der Suche nach Halt; die Haut über seinen Knöcheln ist angespannt.
   Ich lache leicht nervös auf und suche selbst Halt am Tisch.

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